Dienstag, Oktober 30, 2007

Die Macht der Poesie

Gerade blendete der Bildschirm auf Pro7 auf Schwarz und ich muss zugeben, dass ich nach einem der besten Filme, den ich in den letzten Jahren gesehen habe, doch ein wenig Tränen in den Augen hatte - nicht wirklich aus Freude, nicht wirklich aus Trauer, nicht wirklich aus Rührung. Irgendwie spielt in Tim Burtons Big Fish jede Facette der emotionalen Bandbreite des Menschen eine gewichtige Rolle - und genau das treibt mir die Tränen in die Augen.

Es wäre wohl zuviel zu sagen, dass Will Bloom (Billy Crudup) ein Problem mit der Kreativität und den Geschichten seines Vaters Ed Bloom (jung: Ewan McGregor, alt: Albert Finney) hat. Doch nachdem Ed auf Wills Hochzeit die angeblich wahre Geschichte der Geburt seines Sohnes zur Selbstinszenierung nutzt, spricht Will drei Jahre kein Wort mehr mit seinem Vater - bis Ed durch seine Krebserkrankung einen Rückschlag erleidet, bei der auch keine Chemotherapie mehr hilft. Will reist mit seiner Frau Josephine (Marion Cotillard) zu Ed und seiner Mutter Sandra Bloom (jung: Alison Lohman, alt: Jessica Lange), um auch herauszufinden, wer sein Vater wirklich ist - neben der Person, die ihm all diese surrealen, skurrillen und merkwürdigen Geschichten aufgetischt hat und ihm weis machen wollte, dass diese alle Geschichten um große Fische, Hexen, Riesen und Werwölfe real seien. Will jedoch ist so realistisch eingestuft und so von den Geschichten seines Vaters abgestumpft, dass er bei allen Nachforschungen die Macht der Metapher und der Übertreibung übersieht - obwohl er in einer Szene seinen Vater genau das vorwirft.
"And that's the real story of how you were born. Not very exciting, is it? And I suppose if I had to choose between the true version and an elaborate one involving a fish and a wedding ring, I might choose the fancy version." (Dr. Bennet (Robert Guillaume)) Genau diese Aussage trifft so ziemlich den Kern des gesamten Films. Manchmal ist das Leben an sich einfach zu langweilig, um es später einfach so wieder zu geben. Und deshalb schmückt es Ed genau so aus, wie er es gerne erlebt hätte. "Ich will wissen, wer du wirklich bist, Dad", fragt Will. "I've been nothin' but myself since the day I was born, and if you can't see that it's your failin', not mine." antwortet sein Vater. Will jedoch übersieht dabei so einfach die Macht der Poesie, sich einzulassen auf eine Geschichte, hineinzutauchen in fremde Welten, Erzählungen von Riesen, großen Fischen und geheimen Städten. Will ist so sehr damit beschäftigt herauszufinden, wer sein Vater neben seinen Geschichten wirklich war, dass er komplett übersieht, dass sein Vater tasächlich nie jemand anders war, als der, der vorgab - Vielleicht waren die Riesen nicht so groß, die siamesischen Zwillinge nicht wirklich siamesisch, die Stadt nicht wirklich eine geheime. Aber was ist schon die Wahrheit, wenn man für eine kleine Lüge eine einzigartige, fantastische Welt voller Fantasie und Poesie bekommt?
"Most men, they'll tell you a story straight through. It won't be complicated, but it won't be interesting either."

Big Fish ist also ein wunderschöner Film über die Macht der Geschichten, der Poesie, der Kreativität und auch der Phantasie. Und gleichzeitig auch ein Appell, niemals die Phantasie abzulegen, denn sie macht vieles im langweiligen Leben erst interessant.
SPOILER
Und wer während der Schluss-Geschichte, in der Will Ed seinen Tod erzählt, nicht zumindest Tränen in den Augen hat, der hat seine Phantasie schon längst verloren.

(Musik: Radiohead - Reckoner)

Blubb!
Chris

3 Comments:

Blogger Unknown said...

Ich habe Big Fish gestern bestimmt schon zum 3. oder 4. Mal gesehen und freue mich immer wieder auf die Abschiedsszene. Wie oft und auf wie viele unterschiedliche Weisen das Sterben in Filmen schon dargestellt wurde: Man könnte es nicht zählen. Aber ich erinnere mich an kaum einen Film mit so einer fröhlichen und doch so rührenden Sterbeszene.

9:39 AM  
Blogger Chris said...

Je laenger ich ueber den Film und das Ende nachdenke, um so mehr mag ich den Film ;-)
Ganz grosses Kino!

9:46 AM  
Anonymous Anonym said...

ich hab den film gestern auch gesehen und muss dir absolut zustimmen. der moment an dem man checkt, dass doch mehr wahrheit als phantasie an den geschichten dran ist als man denkt, lässt einen den film mit ganz anderen augen sehen. und diese anderen augen waren bei mir am schluss auch glasig ;-)

10:21 AM  

Kommentar veröffentlichen

<< Home