Dienstag, Oktober 10, 2006

Das ist Vietnam!

Na gut, wir sind jetzt schon mittlerweile vier Wochen hier, aber erst jetzt so langsam habe ich das Gefühl, wirklich in Vietnam angekommen zu sein. Vielleicht liegt es ja daran, dass wir damit anfangen, Bekanntschaften mit Einheimischen zu machen und auch nach und nach vietnamesisch zu lernen. Dabei machten aber die meist gleichaltrigen (naja, nicht ganz: meist zwei Jahre oder so jünger als wir) Studenten bei unserer Ausfahrt zu einer Drinking-Party nach Mui Ne mehr den Eindruck von Siebtklässlern auf Klassenfahrt. Spiele in Bus und am Strand (also noch ganz ohne Alkohol)? Und dann so komische Sachen mit Luftballons und Singen? That´s crazy!
Wenn man sich einzeln mit den Menschen unterhaltet hat (die auch wirklich exzellentes Englisch sprechen), waren sie ganz nett und machten einen netten Eindruck - nur als großes Ganzes (auf das es doch anscheinend immer ankommt) kann das ziemlich nervtötend sein. Das Gekreische und Rumgebalge – argh! Das Drinking-Game bei Lagerfeuer am Strand war dann genauso lustig. Alle saßen im Kreis und jeder musste aus einem Kartenspiel eine Karte ziehen und je nachdem, was darauf abgebildet war, eine Aktion ausführen. Neben so Dingen, wir nackt ins Meer springen, gab es eben auch so süße Aktionen, wie "Tell The Truth" und "Kiss The Girl You Like". Ich sagte ja: Siebtklässler auf Klassenfahrt!
Das Tollste war es weitab vom Trubel bei Nacht auf einem Felsen in einem Pavillon zu sitzen und nur die Wellen branden zu hören (Zitat Schnils: "Was immer gleich klingt, aber doch anders!") und am Horizont - dort, wo die Welt untergeht - die Lichter der Fischerboote zu zählen. Denn die Weite des Meeres lässt alles so unglaublich fern erscheinen - und wenn es die eigenen Gedanken sind.
Die Rückfahrt war eine Katastrophe, ein Reinfall, totaler Bockmist: Eigentlich wollten wir ja einen Tourist-Bus direkt von Mui Ne nach Da Lat nehmen. Nun ja, es hieß zwar, die Tour würde nach Mui Ne gehen, aber Mui Ne war ungefähr genau 50 Km entfernt. Also fuhren wir mit den Studenten nach Phan Tiet (20 Km von Mui Ne), um von dort einen Bus nach Da Lat zu nehmen. In Phan Tiet gibt es aber keine Tourist-Buses, sondern nur Linienbusse (ohne A/C), der natürlich um 4.30 morgens abfährt. Auf eine Nacht in dieser... ähem... hässlichen Stadt (man soll die Dinge ruhig beim Namen nennen) hatte aber keiner von uns vieren Lust, deshalb beschlossen wir, nach Mui Ne zu fahren (und sei es mit dem Taxi), um von dort am nächsten Tag mit dem Tourist-Bus nach Da Lt zu fahren. Super Idee, dachten alle von uns vieren - trotzdem ließen wir uns vom Busfahrer und Organisator Ky (oder, wie man den schreibt) überreden, uns an einer Stelle raus zu schmeißen, wo man angeblich ein Auto nach Da Lat mieten könne. Zumindest verstand ich das so, aber als wir dort ankamen (was schon fast wieder in Saigon war), realisierten wir, dass sie mit mieten meinten, wir sollen per Anhalter fahren. Zu viert und bei 250 km Reststrecke natürlich eine sehr glückliche Wahl - zumal es noch Nacht war und weder eine Stadt, geschweige denn ein Hotel in der Nähe war. Also, das kleinere Übel: Zurück nach Saigon und am nächsten Tag dann im Tourist-Bus nach Da Lat. Shit happens! Und kleiner Wermutstropfen: Ich traf Thanh Thao wieder... *hust*
Dieser Bus brauchte dann statt der angekündigten sechs, acht Stunden. Und mehr gerädert, als erholt - und weniger wissend, ob Tag oder Nacht - oder überhaupt, welcher Tag, welcher Monat, welches Jahr, kamen wir in Da Lat an. In einem kleinem Highlight von Hotel. Relativ neu erbaut, lasen uns die Servicekräfte jeden Wunsch von den Augen ab - und das Beste: pro Person und Nacht 5 Dollar! Kein Witz! Ernsthaft!
Da Lat war angekündigt als das Paris Vietnams, hatte aber mit Paris oder Frankreich soviel zu tun, wie Christian Salz mit der nach ihm benannten Bretzel. Schön sah es hier trotzdem aus. Für mich hatte es ein wenig den Charme einer südamerikanischen Andenstadt. Schön in die Hügel und den Urwald gebaut - Traumhaft. Und abends ist in den Straßen fast genauso viel los, wie in Saigon. Auch, wenn die Bars und Clubs alle vor zwölf Uhr schließen...

Und die Tage in Da Lat waren so ungefähr die Tage, von denen ich am meisten mitgenommen habe, seitdem wir in Vietnam sind – sowohl im positiven, als auch im negativen. Wir haben Vietnam kennengelernt – das richtige Vietnam, abseits von Pomp und Glitzer einer pulsierenden Metropole.
Das landschaftlich atemberaubende Vietnam. Das Vietnam aber auch, das uns zeigt, wie man im 21. Jahrhundert noch leben kann.

Unter Wellblechhütten, in Holzhütten und ohne Fließen oder Parkett, nicht mal mit einem richtigen Boden, sondern auf der kahlen Erde. Kochen, schlafen, wohnen in einem Raum – zu siebt. Ihr erinnert euch an Geschichtsunterricht bei Scherer und Mittelalter? Nun ja nicht ganz, schließlich standen in dem Raum auch noch ein TV-Gerät und eine Musikanlage. Aber ansonsten passts!

Landschaftlich am eindrucksvollsten war ein Wasserfall, dem wir durch komische Höhlengänge ziemlich nahe kamen und der auch einen ziemlich hohen Eindruck machte – oder eher mächtig. Leider kamen wir nicht ganz nach unten. Wäre mit Sicherheit noch schöner gewesen.
In einer Silk-Factory sahen wir, wie Seide hergestellt wird (mit Raupe und so) und auf einer Mushroom-Farm, wie Pilze auch wachsen können – an komischen Sägemehl-Würsten.
Dann ging es zurück – und das war dann das negative Erlebnis. Zumindest für mich ein sehr einschneidendes Erlebnis, da ich so etwas zum ersten Mal gesehen habe und hoffentlich in weiterer Zukunft davon verschont bleibe:
Zwei gestürzte Moto-Bikes. Zwei regungslose Körper, der eine nicht sichtbar im Graben, der andere in einer Blutlache auf der Straße. Wir halten natürlich mit unserem Tour-Jeep an, um noch etwas retten zu können. Das Klagen einer Frau deutet uns an, dass es für den Körper im Graben wohl nicht mehr reicht. Kloß im Hals! Nicht wegschluckbar! Bauchkrämpfe, als der andere Körper in den Jeep geladen wird und unser Fahrer mit Dauerhupe Richtung Da Lat fährt. „Maybe, he dies!“, erklärt er uns in schon viel zu vielen Worten, während er das Gaspedal bis zum Anschlag durchdrückt. Ich unterdrücke den Gedanken, dass er es vielleicht schon ist. Unsere Tour kann ab dem Krankenhaus natürlich keiner mehr fortführen. Das Bild, wie er regungslos am Boden liegt, lässt sich nicht verdrängen. Durch Nichts! Der Concierge an der Rezeption meinte zwar einige Stunden später, er sei wieder wohlauf, aber so ganz glaubt das niemand. Es fällt schwer, etwas zu unternehmen.
(Der letzte Absatz ist ein genauer Abriss meiner Gedanken nur wenige Stunden nach dem Ereignis).
Der Abend sollte trotzdem noch weitergehen. Zuerst aßen wir das beste Hühnchen Vietnams (zumindest bisher). Ich weiß nicht, ob ihr das kennt: Aber ich liebe es ein Stück Fleisch in den Mund zu legen und nicht mehr beißen zu müssen, weil es so zart ist, dass es von selbst zerfällt. Und dann so lecker gewürzt. Ich träume immer noch nachts davon.
Und dann gab es endlich mal Bia Hôi. Das haben wir schon lange mal versuchen wollen. Sehr berühmt in Vietnam und sollte man es beschreiben, könnte man es gezapftes Billigbier nennen. Ja, billig ist es. Haltet euch fest, denn wir erwischten einen teuren Laden: 9.000 VND für einen Liter Bier – das sind 45 Cent. Wir haben bei unseren Busfahrten aber auch schon Stände gesehen, die es für 15 Cent anbieten. Na gut, es ist ein sehr leichtes Bier, aber nicht schlecht. Süffig und vor allem billig! Da bestellt man sechs Liter Bier und zahlt genauso viel, wie für einen halben Liter in Deutschland. Ein Traum, ne?!
Leider schloss diese Gastronomie schon so früh, so dass wir uns wieder Richtung Stadt aufmachten und an einer lustigen Bar vorbei liefen, wo uns Angestellte reinwinken wollten – die hieß doch tatsächlich Apocalypse Now und war wohl genauso ein In-Club, wie das Apo in Saigon. Aber es waren nur Einheimische drin und man merkte mal, wie tanzlustig die sein können... Wirklich lustig gewesen, auch, wenn nur Techno kam. Und das Lustigste ist, von beinahe jedem Typ in dieser Bar angesprochen worden zu sein, ob man nicht tanzen gehen wolle. Nun ja, denkt euch den Rest...
Aber auch dieser Club schloss schon um zwölf, was uns vielleicht gar nicht so ungelegen kam, weil nach diesem intensiven Tag uns jedem eine Mütze Schlaf gut tat. Dass wir aber ne geschlagene Stunde brauchten, um ins Hotel zu finden und nebenbei noch einen Mann seine Frau wegtragen sahen, weil sie wohl zu betrunken zu laufen war, sei nur am Rande erwähnt.
Ana und Toffi verließen uns am nächsten Tag. So beschlossen Schnils und ich eine Mountainbike-Tour durch die Umgebung zu einem Wasserfall zu machen. Wir verfuhren uns zwar andauernd – aber nicht, weil Schnils die Karte verlor, sondern, weil wir einfach nur die Landschaft sehen wollten – Klar, oder? Die war ja schließlich auch beeindruckend. Und der Wassefall war noch schöner, als der am Tag zuvor. Auch, wenn wir durch ziemlich bergiges Terrain dorthin vorstoßen mussten. Zumindest das erste Stück wieder zurück nach Da Lat war extrem anstrengend... Naja, vielleicht habe ich wenigstens ein paar Kilos runter geschwitzt.

Wäre vorteilhaft. Denn morgen geht es weiter: Wieder an den Strand nach Nha Trang, weil ja schon bald das Semester losgeht und wir dann wohl die Reisen einstellen müssen... Da tut uns Erholung erstmal gut.

Zuerst müssen wir uns aber nachher noch unser Visum abholen – wenn es denn mal endlich fertig ist. Mal sehen, was das dann kostet...

(Musik: Snow Patrol – It´s Beginning To Get To Me)

Blubb!
Chris

P.S.: Es war kalt in Da Lat. Zumindest nachts unter der Decke (in Saigin braucht man nicht mal eine) habe ich immer gefroren...

P.P.S.: Das Album Open Eyes von Snow Patrol ist hervorragend. Kaufen! Achja, und gestern für 6.50 Euro weitere 13 (!) CD´s gekauft.

P.P.P.S.: Man möge mir meine Eitelkeit verzeihen, aber habe ich Ana (und im Hintergrund Toff und im Vordergrund meinen Fuss) nicht genial getroffen? Als hätte ich es so ausgeleuchtet gewollt... Dabei war es Zufall..