Freitag, Juni 15, 2007

Eine einfache Sache

Mal wieder ne Kurzgeschichte. Der Titel ist eher Arbeitstitel, weil ich absolut keine Ahnung habe, wie ich sie sonst nennen koennte, vielleicht faellt euch ja was ein.
Am Anfang habe ich versucht, mal etwas lockerer, weniger melancholisch und amuesanter zu schreiben. Spaeter stellt sich heraus, dass ich dafuer nicht geschaffen bin. Der erste Teil gefaellt mir relativ gut, weil es eben was anderes ist. Danach geht die Geschichte in mein uebliches Blabla ueber. Hab auch ueberlegt, ob ich nur den ersten Teil veroeffentlichen soll, aber dann wuerde ja was fehlen... Natuerlich ist Feedback erwuenscht:
Hier ist sie:

Es ist einfach, sich in seinen Träumen seine Traumfrau zuzubereiten. Man nehme ein weibliches Gehirn, fülle es mit Liebe, Sympathie und Toleranz. Zur Verfeinerung sollte es mit Aufmerksamkeit, Klugheit und einer beliebigen, positiven Charaktereigenschaft gewürzt und abgeschmeckt werden.
Das Gehirn wird dann in einen Kopf gefüllt, der den eigenen Schönheitsvorstellungen entspricht. Zum Abschluss setzt Mann diesen Kopf auf einen wohl proportionierten Körper. Ist das geschehen, wacht man auf. Denn danach beginnt der schwierige Teil der Sache: Die Frau in der Realität finden. Das ist aber ein Ding der Unmöglichkeit – Versprochen. Da gebe ich jeden Cent drauf. Sollte einer behaupten, es wäre so, wäre dies „Verblendung dank Liebe“. Oder er kennt einfach seine Frau noch nicht.

Ich meinte, ich hätte meine Traumfrau gefunden. Sie war schön, nett, klug und alles, was ein Mann sich wünschte.
Und ich verabredete mich sogar mit ihr. Im „Restaurant um die Ecke“ zum Candle-Light-Dinner. Kein Wunder also, dass ich mich rausputzte wie ein Storch und das Mädchen wie ein Pinguin empfing. Ein Candle-Light-Dinner – die wahrscheinlich verlässlichste Methode, ein Mädchen „rum zu bekommen“.
Ich stand vor ihrer Haustür, schwarzer Anzug, Rose im Knopfloch, Schlips um den Hals, weißes Hemd. Ja, und dann kam sie. Ich achtete nicht darauf, was sie trug – zu sehr war mein Blick auf ihr Gesicht gebannt. Aus Angst, mir könnte etwas entgehen, beobachtete ich mit akribischer Genauigkeit jede Muskelbewegung ihres Gesichts. Was mir dann auch nicht entging, war ihr plötzliches Lachen – ein schönes, aber spöttisches Lachen.
„Weshalb bist du denn im Anzug hier?“, gluckste sie.
Da fiel es mir erst auf: Sie trug Alltagskleidung – zwei und hoffentlich nicht mehr Fetzen, die zusammen für zwanzig Euro beim H&M erhältlich sind. Innerlich stellte ich mir gerade die Frage, ob sie wusste, was ein Candle-Light-Dinner sei, da fiel es mir plötzlich mit der Klarheit einer Kloßbrühe ein: Ich war Opfer eines Missverständnisses. Oder besser: Sie war das Opfer. Nicht nur, weil ihr die Opferrolle besser stand (ihr stand ja eh das meiste besser als mir), sondern weil ich hundertprozentig wusste, dass ich sie wortwörtlich zum Candle-Light-Dinner eingeladen hatte. Wenn ich sie dazu befragen würde, wüsste sie aber wahrscheinlich zu hundert Prozent, dass ich die Einladung nicht aussprach, was sie sofort wieder zum Täter und mich zum Opfer machen würde.
„Ich komme gerade direkt von der kirchlichen Trauung eines entfernten Bekannten.“ Ich war stolz auf meinen genialen Geistesblitz und grinste kaum wahrnehmbar.
„So, wie du aussiehst, könntest du selbst der Bräutigam sein.“
Eins zu Null für sie. Bis vor fünf Minuten dachte ich das auch noch. Nun, ich träumte davon.
„Aber ich fand dich schon immer lustig“, fügte sie hinzu.
Lustig… Sie fand mich nicht lustig. Sie fand mich eher „lustig“. Und nach „süß“ und „interessant“ liegt „lustig“ an dritter Stelle der Komplimente, die wir Männer NICHT mögen. Aber obwohl sie das mit Sicherheit genau wusste und auch so meinte, konnte ich ihr verzeihen – sie war ja nett. Oder eher „nett“?

Im "Restaurant um die Ecke“ war zu dieser frühen Stunde noch nicht viel los. Ich konnte mich also auf einen ruhigen Abend mit der Frau meiner Träume freuen. Um meinen Clou von vorhin auf die Spitze der Perfektion zu treiben, musste ich in der Küche das Candle-Light-Dinner absagen. Denn jetzt noch zugeben zu müssen, dass ich eigentlich was anderes dachte, als sie dachte, erdachte ich mir als nicht so klug. Dann könnte ich mich genauso gut auch mit dem Rücken zu ihr hinstellen, meine Hose runterlassen und in Bart-Simpson-Manier „Eat My Shorts“ rufen.
Nach außen mit einer selbstsicheren Ruhe, aber eigentlich mit einem Herzklopfen, das mir beinahe die Halsschlagader explodieren ließ, betrat ich die Küche. Dort lachten sie erstmal über meinen Anzug und wussten nichts von meinem Dinner-Vorhaben. Sollte nun doch ich das Opfer des Missverständnisses sein?
Wie dem auch sei, ich ertrug die Schmach mit Gelassenheit – wohl wissend, dass an meinem Tisch das wohl schönste Mädchen der Welt sitzen würde. Sie würde ganz alleine dort sitzen und nur auf mich warten. Und dieser Kellner, der mich in diesem Moment noch auslachte, musste mich im nächsten Moment bedienen. Ich spürte schon zu diesem Zeitpunkt seinen Neid. Er durfte nicht zusammen mit diesem Mädchen an einem Tisch speisen.
Doch so alleine wartete sie schon gar nicht mehr auf mich, als ich an unseren Tisch zurückkam. Zwei ihrer Freundinnen saßen rechts und links von ihr und bearbeiteten abwechselnd die Ohren meiner Traumfrau. Verwirrt und hilflos starrte sie mich an. In diesem Moment wusste ich nicht mehr, wer mir mehr leid tun müsste: Ich, weil ich mit dieser Schönheit nicht mehr alleine sein durfte, oder sie, inmitten dem Geschnatter ihrer Freundinnen.
„Oh, schaut!“ Sie zeigte auf mich. „Das ist Hans.“
Lauthals brach aus beiden Mädchen gleichzeitig Gelächter heraus.
„Süß“, prustete eine der beiden Mädchen, während dem Luft holen, um dann wieder mit in das Lachkonzert einzusteigen.
„Lacht doch nicht. Er kommt von der Hochzeit eines Bekannten und konnte sich...“
„So, wie der aussieht“, unterbrach dasselbe Mädchen meine Traumfrau, „könnte er glatt selbst der Bräutigam sein!“
Volltreffer! Meine Traumfrau und ich grinsten, als wir uns in die Augen schauten. Nur noch halbherzig setzte ich mich zu den drei Mädchen. Ich wusste wohl, dass ich nun diesen Abend nicht mehr viel zu melden hatte im „Restaurant um die Ecke“.
Und so begann der Abend: Gelangweilt stütze ich mich auf meine Hände und versuchte nur ansatzweise etwas zu verstehen, was die drei Mädchen sich so ungeheuer Wichtiges zu erzählen hatten. Unermüdlich rackerten sie das ganze Programm ab. Ob Mode, Schmuck, Kosmetik oder Jungs. Jedes Thema musste herhalten. Ich hätte gern gewusst, ob sie beim letzten Themenschwerpunkt auch über mich gesprochen haben, aber ich konnte es nicht heraushören. Ich verstand nicht, wie sie sich verstehen konnten. Denn ihr Gespräch lautete ungelogen so:
„Weißt du, der eine, der ist richtig süß!“
„Ja, das stimmt. Ich liebe seine helldunklen Haare.“
„Ihr redet gerade über den mit dem hässlichen Freund.“
"Ja, genau, den meinen wir.“
„Ja, der ist wirklich süß!“
Fassen wir zusammen: Es gibt da einen süßen Jungen, der helldunkle Haare und einen hässlichen Freund hat. OK, wenn sie das sagen...
Was mich an diesem Abend dann aber erfreute, war das Auftauchen zweier meiner Freunde. Ich sah sie, schrie auf und freute mich, endlich bekannte und mir sympathische Gesichter zu sehen und ging ihnen entgegen, um sie zu begrüßen. Doch mir schlug nur Gelächter entgegen – wegen meines Anzugs.
„Ach, hört doch auf!“, widersprach ich halbherzig. „Ich war bei einer Trauung eines entfernten Bekannten...“

„So, wie du aussiehst“, unterbrach mich der eine. „Könntest du selbst der Bräutigam sein.“
Ich riss eine Grimasse, als hätte ich gerade eine Zitrone am Stück gegessen.
„Ist ja schon gut, wir hören ja schon auf“, meinte darauf einer der Freunde.
„Ich bin ja schon gar nicht mehr beleidigt. Wollt ihr euch nicht zu uns setzen?“
Gott sei Dank wollten sie das. War es mir zuvor noch ein wenig peinlich, mit den Mädels ein Bier zu trinken und hatte auch eine Cola bestellt, war es nun endlich an uns, zwei Bierchen zu trinken – Das Erste und das Letzte.

Am nächsten Morgen wachte ich halbnackt und mit höllischen Kopfschmerzen auf – hilf- und hoffnungslos nach Erinnerungen in meinen Gehirnwindungen suchend. Als ich mich auf die andere Seite drehen wollte, stieß ich gegen einen Körper. Eine der Freundinnen meiner Traumfrau lag in meinem Bett und grinste mich an. Ich grinste zurück. Wäre dieser nun ein geeigneter Augenblick, nochmals nach dem Namen zu fragen?
„Schön war es“, säuselte sie mir ins Ohr.
Nun ja, zumindest die Stimme war schöner als das Gesicht. War aber auch keine besondere Kunst. In diesem Zusammenhang stiegen aber vier Fragen in mir auf: Was? Wann? Hier? Und vor allem Wer? Doch stattdessen säuselte ich ihr nur ein „Find ich auch“ zurück und stand auf, um mir und meiner Prinzessin ein Frühstück zuzubereiten. Dem Himmel sei Dank hatten sich dieses Wochenende meine zynischen Mitbewohner nach Hause verabschiedet, so dass ich nicht mit meiner neuen Errungenschaft „prahlen“ musste, die unvorbereitet, doch zum Glück mittlerweile bekleidet, in der Tür stand und mich wortlos anstarrte. Ich hatte das Gefühl, sie wäre verliebt in mich, so ruhig und zielstrebig starrte sie mich an. Unbehagen stieg in mir auf, schließlich wusste ich nicht einmal ihren Namen.
Doch dann geschah das Unerwartete. Gott muss dieses Leid wohl gesehen und erkannt haben, anders kann ich mir das Folgende nicht erklären.
„Es ist zwar peinlich“, begann sie, „aber ehrlich gesagt, weiß ich nicht mehr, ob es wirklich schön war. Ich war so betrunken, dass ich selbst deinen Namen vergessen habe.“
Auf einen Schlag bekam das Mädchen mit dieser Frage in meinem Herzen einen Ehrenplatz in der Sympathie-Galerie.
„Macht nichts, ich heiße Hans.“ Nun frag du sie endlich. Ein breites Grinsen zierte mein Gesicht. Frag sie. „Und wie heißt du?“
Anna, wie ich daraufhin erfuhr, lachte lauthals los. Auch ich konnte nun nicht mehr an mich halten und stieg in das Lachen mit ein.

Wenn man einen Partner hat, vergeht die Zeit wie im Fluge. Ich habe mittlerweile einen: Anna. Ja genau: die Anna, die nach meinem „Candle-Light-Dinner“ neben mir in meinem Bett aufwachte. Nun sind es schon sechs Jahre, wie wir täglich nebeneinander aufwachen. Und ich habe immer noch diese Schmetterlinge im Bauch, wenn ich sie sehe und überlege immer noch akribisch genau vor einem Telefonat, was ich ihr sagen will. Es ist ein warmes Gefühl, das sich in mir ausbreitet, wenn ich mit ihr zusammen bin und obwohl es ein wunderschönes Gefühl ist, kann ich nicht so recht etwas damit anfangen.
Anna meint, dieses Gefühl würde sich Liebe nennen. Ich persönlich weiß nicht, ob es der richtige Begriff ist. Denn dieser Begriff hat diese Endgültigkeit, diese Macht, die mein Leben bestimmen könnte.
Heute bin ich mir nämlich sicher, dass ich mein Leben lang mit Anna zusammen sein will. Aber wer weiß, wie das morgen aussieht?
Und wenn ich das mit meinen Kumpels bespreche, dann ernte ich entweder nur lautstarkes Lachen als Antwort oder ein lapidares „Dann heirate sie doch“ - natürlich nur mit einem süffisantem Lächeln unterlegt.
Und wenn Anna wieder mit ihrem süßen Lächeln nach Hause kommen wird und mir so selbstverständlich einen Kuss auf die Wange drücken und ein „Ich liebe dich“ hinterher schmeißen wird, werde ich ihr so selbstverständlich ein „Ich dich auch“ zurück werfen, obwohl ich eigentlich gar keine Ahnung habe, was ich ihr sage. Liebe – ein Wort, das schnell gesagt wird, aber deren Bedeutung eigentlich nicht verständlich ist.

Nun stehe ich hier vor dem Bett und soll Anna das mit dem Mädchen erklären. Ich schaue ihr direkt in die Augen und sehe, wie der Glanz in ihren Augen verblasst. Ich sehe auch, wie die Dunkelheit die Augen wie ein Schatten übermannt und sie sich langsam mit einer zähen Flüssigkeit füllen. Und dann sprechen sie mit mir. Sprechen zusammen zwei Worte, deren Bedeutung ich nicht verstehen will. „Stirb endlich!“, flüstern sie mir mit einem solchen Nachdruck zu, dass es mir schwer fällt, dieser Aufforderung zu widerstehen. „Stirb!“, rufen sie mir nochmals zu, bevor ich den Augen endlich ausweichen kann.
„Ich weiß auch nicht, Ann“, stottere ich – hilflos zwischen zwei Mädchen stehend, denen ich mehr oder minder etwas bedeute. „Ich liebe dich doch.“
Es ist wohl zuviel von ihr verlangt, mir meine Erklärung ab zu nehmen, wo ich hier splitternackt vor ihr stehe und hinter mir ihre beste Freundin sich nur mit einer Decke bekleidet.
Ihr spöttisches Grinsen verrät mir, dass Anna wohl dieselben Gedankengänge hat. Und wieder höre ich ihre Augen mit mir sprechen und wieder befehlen sie mir zu sterben. Und wieder mache ich es mir schwer, gegen die Ausführung dieser Aufforderung zu rebellieren. Auch, wenn ich dem Blick wieder ausweiche, ich spüre den Hass, der auf mich einprasselt, wie die Regentropfen zur Monsunzeit.
Mein Blick fällt auf Annas Bauch, der mittlerweile schon staatlich gewachsen ist. Zwei Monate noch, sagte der Arzt beim letzten Termin, wo er uns auch die Ultraschallbilder mitgab. Eine Gänsehaut ließ mich erstarren, als ich sehen konnte, dass ich für ein lebendes Wesen verantwortlich war. Doch in meiner Trance merke ich nicht, wie Anna geht. Erst der Türknall befördert mich in die Realität zurück.
Langsam ziehe ich mich an und in Gedanken lasse ich die letzten sechs Jahre Revue passieren. Und ich fühle mich, als wäre ich vor diesen sechs Jahren auf einen langsam anfahrenden Zug aufgesprungen, nicht beachtend jedoch, wie er geradewegs Kurs auf eine Mauer nimmt. Und der Aufprall schmerzt.
Ich weiß nicht, wo ich Anna suchen soll, ich weiß nicht, ob ich sie suchen soll. Ich weiß nicht, was ich machen soll, ob ich überhaupt was machen soll. Bilder gehen mir durch den Kopf. Ich sehe in die verschlafenen Augen Annas und höre sie nochmals „Schön wars“ sagen, obwohl wahrscheinlich gar nichts war. Ich sehe sie bekleidet in der Tür meiner Küche stehen und ich höre mich in ihr Lachen mit einsteigen, weil ich nach ihren Namen fragte. Warum kommen diese Erinnerungen erst dann auf, wenn man gerade versucht, seine Gedanken zu ordnen und nicht dann, wenn man gerade dabei ist, seine Intelligenz auf den Scheiterhaufen zu schmeißen?

Ich wache in meinem Schreibtischstuhl auf, weil Anna die Musik ausgeschaltet hat. Mein Blick fällt auf sie und ich sehe, wie sie das Blatt Papier mit meiner neuesten Geschichte weglegt und mich grinsend anblickt: „Du solltest beim Schreiben keine Musik hören. Die macht dich depressiv.“
Langsam stehe ich auf und gehe auf sie zu, um ihren Bauch zu streicheln.
"Ich liebe dich!“ Ich spüre Tränen in meinen Augen, während ich ihr einen Kuss auf die Wange gebe.

1 Comments:

Anonymous Anonym said...

Hello chris, a very nice short story =)Take care

1:53 AM  

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