Samstag, April 14, 2007

Genre-Fetischismus, Teil 1

Wahrscheinlich gibt es kein Genre im Rockmusik-Business das zurzeit umstrittener ist als Emo. Schliesslich ist es oftmals von irgendwelchen 15-jaehrigen gepraegt, die es cool finden, sich die Arme aufzuritzen und dabei traurig auszusehen. Selbstmordgedanken in dieser Welt, in der sich niemand um die Belange des einzelnen kuemmert, gehoeren genauso dazu. Da kommt natuerlich eine Musik, die sich direkt mit dem eigenen Weltschmerz, mit den eigenen schlimmen Erfahrungen, nach denen immer die Welt untergeht, natuerlich wie gerufen. Dass die Bands dann auch noch gleich so vielsagende Namen a la Bullet For My Valentine, Funeral For A Friend oder My Chemical Romance haben, ist noch eine tolle Zugabe. Da weiss man wenigstens Bescheid.

Dabei ist aber Emo nicht gleich Emo. Entstanden in einer Zeit Anfang/Mitte der 80er, in der Hardcore-Bands von politischen Themen zu persoenlicheren, emotionaleren Themen uebergingen und der klassische Emocore sich eindeutig definieren liess, hat sich das Genre heute in eine sehr vielseitige Richtung entwickelt. Aehnlich wie beim Punk zaehlt auch beim Emo: "Frage 100 Emos nach einer Definition und du bekommst 100 verschiedene Antworten". Eine Eingrenzung des Themas ist also nicht moeglich. Bei manchen Bands laesst sich das sogar von Lied zu Lied entscheiden (The Ataris oder New Found Glory). Wie kommt es aber dazu, dass heute Emo als Genre-Bezeichnung von den harmlosen Bright Eyes bis hin zu den schon beinahe brutalen Underoath reichen kann? Alleine der Umstand, dass die Bands persoenliche, emotionale Themen ansprechen, kann ja wohl nicht reichen. Denn auch Kurt Cobain sang eigentlich ausnahmslos ueber seinen Weltschmerz. Trotzdem wuerde keiner auf die Idee kommen, Nirvana als Emo zu bezeichnen. Bei Kelly Clarkson oder Britney Spears ist die Abgrenzung zum Emo noch viel groesser - obgleich sie in ihren Songs auch eigene Trennungen verarbeiten. Der theatralische Auftritt, der Bands wie Panic! At The Disco und My Chemical Romance darbieten, sollte auch nicht das Entscheidungsmerkmal sein, denn andere "emo-verdaechtige" Bands, wie Jimmy Eat World oder Dashboard Confessional lassen davon ja komplett ihre Finger. Vielleicht muss eine Emo-Band erst den "Fluch von Emo" abstreiten, um als Emo zu gelten, denn irgendwie behaupten alle, dass sie einfach nur Rockmusik machen. Ich denke, dass auch das dann wieder zu einfach ist. Denn zwischen Rock und Rock ist natuerlich ein viel groesserer Unterschied als zwischen Emo und Emo.

In meinem Ansatz wuerde ich (nachdem ich in diversen Foren, bei indiepedia und sonst so recherchiert habe) noch in weitere Subgenres unterteilen. Dies ist natuerlich nur mein Ansatz und mit Sicherheit nicht der Weisheit letzter Schluss.
Emo waere also die grundlegende Bezeichnung fuer die Musikrichtung - ein Untergenre des Rock...
Emo-Pop (oder auch nur Emo) wuerde Bands, wie Dashboard Confessional, Jimmy Eat World oder mit Abstrichen Brand New beinhalten. Es muss nicht immer eine E-Gitarre sein, die benutzt wird. Auch sonst sind manche Songs mehr dem Pop als dem Rock zuzuordnen. Die Bands streiten natuerlich auch alle ihre Emozugehoerigkeit ab, doch ihre Alben sind meistens auf den obersten Plaetzen der Emo-Ranglisten zu finden. So natuerlich Clarity von Jimmy Eat World, das regelmaessig als das beste Emo-Album gefeiert wird. Den Fans des urspruenglichen Emo-Cores sind die Bands zu weich und gelten bei denen als reiner Pop.
Beim Emocore muss nicht geshoutet werden, aber es ist oftmals ein Teil davon. Die Saengerstimmen sind charismatisch und sofort einzuordnen. Teilweise werden Bands des Missbrauchs verdaechtig, wenn sie zu uebertrieben ihren Weltschmerz ausdruecken und oftmals ihre Show ueber den Inhalt ihrer Songs stellen. Diese Bands haben meist die plumpesten und naivesten Lyrics und wollen es mit ihrer Show uebertuenchen. Damit haben sie oft dann wieder den meisten Erfolg, wie man an den Beispielen My Chemical Romance oder Bullet For My Valentine erkennen kann. Doch natuerlich darf man hier nicht alle Bands pauschalisieren. Schliesslich das groesste Feld meiner Eingrenzung und kann auch so innovative Melodien, wie die von Panic! At The Disco, als auch Story Of A Year mit einem fast klassischen Ansatz von Emocore beinhalten.
Screamo ist - wie der Name schon sagt - stark vom Shouten gepraegt und das ist auch ein wichtiger, oftmals der wichtigste, Teil des Songs. Ausnahmen bestaetigen die Regel. Mit Thrice, Alexisonfire oder Underoath gibt es hier eindeutige Referenzen.
Post-Hardcore ist der kleinste Teil meiner Eingrenzung. Die Songs haben im Unterschied zum originalen Hardcore klarere Strukturen, sind mehr als nur Geschrammel und bringen neben den politisch motivierten Texten auch persoenliche Texte unter. Thursday ist die Band, die dem Genre unterzuordnen waere.

Ich wiederhole mich gern: Das ist nur meine Einschaetzung, die durch andere Quellen weder komplett bestaetigt oder komplett widerlegt werden kann. Mit Sicherheit gibt es Verbesserungen in meiner Eingrenzung (schliesslich lassen sich bisher nicht alle Emo-verdaechtige Bands unterbringen), doch das war jetzt relativ spontan nieder geschrieben. Nagelt mich deshalb auf Einzelheiten nicht fest. Denn wie schon gesagt, jeder definiert das Genre anders.
Warum ich das nieder geschrieben habe? Nun ja, es ist eigentlich ermuedend, jedes Mal schief angeschaut zu werden, wenn man behauptet, man hoere Emo, weil viele einfach ein falsches oder zu eingeengtes Bild von Emo haben. Denn, bloss weil ich Emo hoere, finde ich Bullet For My Valentine oder My Chemical Romance nicht automatisch gut...

Die meiner Meinung wichtigsten Emo-Songs der modernen Zeitrechnung:
Dashboard Confessional - Hands Down (Emo-Pop)
Jimmy Eat World - 23 (Emo-Pop)
Brand New - Guernica (Emocore)
Story Of A Year - Page Avenue (Emocore)
Taking Back Sunday - Make Damn Sure (Emocore)
Thrice - Silhouette (Screamo)
Alexisonfire - Crisis (Screamo)
Thursday - Steps Ascending (Post-Hardcore)

(Musik: Alexisonfire - Crisis)

Blubb!
Chris

P.S.: In Teil 2 des Genre-Fetischismus dann: Warum ist Garange-Punk was anderes als Garage-Rock? Und wie differenziert sich der Post-Punk vom Pop-Punk?

2 Comments:

Anonymous Anonym said...

hey!
bin durch zufall über diesen post gestoßen - aber das thema kommt mir sehr bekannt vor. ;-)
zwar würde ich das eine oder andere etwas anders sehen, aber das ist, wie du ja geschrieben hast, definitionssache.
als kind der 90iger ist mir persönlich der "mid-age (indie-)emo" ala texas is the reason, sunny day real estate und die frühen appleseed cast oder get up kids ans herz gewachsen und fehlt hier etwas... :)

in der einschätzung von screamo möchte ich aber hinzufügen, dass deine definition ausschließlich auf die junge "emo" generation zutrifft. mit wirklichem, klassischem screamo haben bands wie underoath oder thrice eigetnlich nichts zu tun - das ist nach meiner meinung eher, wenn man deren frühen alben anschaut (vorallem die identity crisis bzw. die cries of the past und z.t. auch die changing of times) ein weiterentwickelter metal(core), im fall von thrice auch hardcore.

wirklicher screamo zeichnet sich im gegensatz zum metalcore durch echtes schreien und relativ chaotische songstrukturen aus - bands wie underoath oder thrice setzen ja eher auf shouten oder growlen und haben oft auch recht strukturierte songs. (meist das klassische vers-refrain-vers-refrain-bridge-refrain schema)
die grenzen sind aber natürlich total fließend und mittlerweile wird ja sogar schon emery als screamo bezeichnet; "echten screamo" spielen meiner meinung nach zum beispiel bands wie envy, mihai edrisch, june paik, the apoplexy twist orchestra, ding dong dead oder louise cyphre. das ist aber natürlich nur meine einschätzung. :-)

mein kommentar ist eh schon viel zu lang geworden... daher noch kurz meine einteilung:
alexisonfire: post-hardcore
underoath: progressiven metalcore
thrice: post-hardcore
thursday: emocore/post-hardcore

viele grüße
chris

7:15 PM  
Blogger Chris said...

Danke fuer deinen Kommentar. Wie ich sehe, kennst du dich bei Weitem besser aus, als ich. Gerade die "90-iger" Generation ist mir noch relativ fremd. Natuerlich habe ich von den Bands schon etwas gehoert, aber sind bisher noch sehr stiefmuetterlich von mir behandelt worden...

Danke auch fuer deine Verbesserung. Man darf natuerlich diesen Post auch nicht hundertprozentig ernst nehmen, da ich das alles auch mit relativ wenig Recherche geschrieben habe.

Gruesse
(der andere) Chris

6:14 PM  

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